Einer meiner Mandant:innen befand sich zum Zeitpunkt der Mandatsübernahme bereits seit einem Jahr in Schubhaft. Mein Mandant hatte im Verfahren vor dem für die regelmäßige Überprüfung der Zulässigkeit der Schubhaft zuständigen Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Hilfe der BBU GmbH die Realisierbarkeit von Abschiebungen in seinen Herkunftsstaat substantiiert in Abrede gestellt und vorgebracht, dass die Behörde, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), diesbezüglich nicht mit der – für die Zulässigkeit einer Schubhaft – notwendigen Effizienz vorgehe. Zum Beweis dafür, dass Abschiebungen in seinen Herkunftsstaat nicht durchführbar sind, beantragte er zudem (mehrmals) die Einvernahme einer informierten Vertreterin der dafür zuständigen Behörde (dem BFA) und beantragte außerdem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Mit darauffolgendem Erkenntnis stellte das BVwG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung fest, dass die Voraussetzungen für die Schubhaft vorliegen und deren Aufrechterhaltung verhältnismäßig sei.
Dagegen erhob ich eine an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) gerichtete außerordentliche Revision und monierte neben der Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung, dass das BVwG sowohl das Vorbringen meines Mandanten betreffend die Nichtrealisierbarkeit einer Abschiebung in seinen Herkunftsstaat als auch den dieses stützenden Beweisantrag ignoriert hatte, obwohl beides für die Erreichbarkeit des Schubhaftzwecks und damit für die Zulässigkeit der Schubhaft entscheidend seien.
(„Fun“ fact: Unmittelbar nach Erhebung der außerordentlichen Revision behauptete das BFA in einem an das zur Schubhaftprüfung berufene BVwG gerichteten Schreiben, mir wäre die „eindeutige Rechtslage nicht bekannt“ und ich hätte die Botschaft meines Mandanten mit „faktenwidrigen Behauptungen absichtlich in die Irre geführt“, was „angesichts der völligen Faktenwidrigkeit der Angaben, die wohl das vernünftige Maß der Rechtsvertretung jedenfalls übersteigt, möglicherweise standesrechtlich relevant sein könnte, da der BBU GmbH, die im Eigentum des Bundes steht und in dessen Auftrag tätig wird, [offenbar im Gegensatz zu einer Rechtsanwältin, Anm.] an dieser Stelle keinesfalls unterstellt werden kann, absichtlich Vertretungsbehörden in die Irre zu führen.“
Selbstverständlich hatte ich gegenüber niemandem faktenwidrige Behauptungen aufgestellt oder gar irgendjemanden absichtlich in die Irre geführt. Gegenüber der Botschaft meines Mandanten hatte ich überhaupt keine Behauptungen aufgestellt, da ich mit dieser nicht einmal in Kontakt war. In einem an das BVwG gerichteten Schreiben ersuchte ich dieses daher, die tatsachenwidrigen Behauptungen der Behörde im Verfahren meines Mandanten unberücksichtigt zu lassen bzw. diese jedenfalls nicht zu seinem Nachteil zu würdigen. Daraufhin stellte das BVwG fest, dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft meines Mandanten nicht verhältnismäßig sei, weshalb er aus der Schubhaft entlassen wurde.)
In der Zwischenzeit hatte ich in diesem Verfahren gegen ein weiteres Erkenntnis des BVwG ein Rechtsmittel, dieses Mal eine an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) gerichtete Erkenntnisbeschwerde, erhoben, da das BVwG für die schriftliche Ausfertigung des anzufechtenden mündlich verkündeten Erkenntnisses sieben Monate gebraucht hatte und meinem Mandanten, der wie jede rechtsschutzsuchende Person in der Regel auf die ausführliche Begründung der Entscheidung angewiesen ist, um sie bekämpfen zu können, dadurch effektiven Rechtsschutz verwehrt hatte.
Mit Erkenntnis vom 28.02.2023, E 2830/2022, hob zunächst der VfGH das bei diesem angefochtene Erkenntnis wegen Verletzung meines Mandanten in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung fremder Personen untereinander auf:
„2.1. (…) Unabhängig von der Möglichkeit, die Entscheidung bereits nach der mündlichen Verkündung anzufechten, ist der Rechtsschutzsuchende in der Regel auf die – nähere und ausführliche – Begründung der Entscheidung in der schriftlichen Ausfertigung gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG angewiesen, um die Entscheidung auf Grund der maßgebenden Erwägungen gegebenenfalls mit einer Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG bekämpfen zu können. Aus der rechtsstaatlich gebotenen Pflicht zur Begründung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen folgt daher im Zusammenhang mit der Regelungssystematik des § 29 VwGVG auch die Pflicht zu einer möglichst zeitnahen schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung, weil andernfalls dem Rechtsschutzsuchenden effektiver Rechtsschutz verwehrt sein könnte (zum Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes siehe zB VfSlg. 11.196/1986, 15.218/1998, 17.340/2004, 20.107/2016), was rechtsstaatlichen Anforderungen an die Erlassung gerichtlicher Entscheidungen widerspricht. (…)
2.3. (…) Im Hinblick auf die lange Zeitspanne zwischen mündlicher Verkündung und schriftlicher Ausfertigung der Entscheidung (vgl. VfGH 10.3.2021, E 2059/2020 ua.; 23.6.2021, E 720/2021; 7.10.2021, E 837/2021) und der Notwendigkeit einer zeitnahen schriftlichen Ausfertigung in Verfahren hinsichtlich Schubhaftbeschwerden wurde dem Beschwerdeführer dadurch ein effektiver Rechtsschutz verwehrt.“ (VfGH 28.02.2023, E 2830/2022, Rz. 21ff.)
Mit Erkenntnis vom 22.02.2024, Ra 2022/21/0123, hob schließlich auch der VwGH das bei diesem angefochtene Erkenntnis des BVwG auf:
„11. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass die Frage der rechtzeitigen Erlangbarkeit eines Heimreisezertifikates bei länger andauernden Schubhaften, die gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG überprüft werden, typischerweise entscheidend für die (weitere) Verhältnismäßigkeit der Anhaltung ist, was entsprechende Ermittlungen und eine fundierte Auseinandersetzung mit den erlangten Ergebnissen erfordere. Bloße Bemühungen der Behörde genügen demnach für die Annahme einer rechtzeitigen Erlangbarkeit des Heimreisezertifikates nicht, sie müssen vielmehr zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgversprechend sein, wobei für den zu verlangenden Wahrscheinlichkeitsgrad auch die bisherige Dauer der Schubhaft und die Schwere der Gründe für ihre Verhängung und Aufrechterhaltung eine Rolle spielen können. Frühere Erfahrungswerte mit der jeweiligen Vertretungsbehörde können wesentliche Anhaltspunkte für die in dieser Hinsicht vorzunehmende Beurteilung bieten; das setzt aber voraus, dass diese Erfahrungswerte nachvollziehbar festgestellt und nicht nur ohne jede Konkretisierung behauptet werden (VwGH 31.8.2023, Ra 2022/21/0156, Rn. 10, mwN).
12. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Erkenntnis nicht gerecht. Das BVwG setzte sich fallbezogen mit der Frage, ob und aus welchen Gründen aufgrund des nach den Feststellungen des BVwG „seit xxx effizient geführten“ Verfahrens zur Erlangung eines Heimreisezertifikates davon ausgegangen werden könne, dass dessen Ausstellung innerhalb der zulässigen Höchstdauer der Schubhaft erfolgen werde, nicht ausreichend auseinander. Dies wäre jedoch insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bloße Bemühungen der Behörde die Annahme der Erlangbarkeit eines Heimreisezertifikates nicht begründen können, sondern auch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgversprechend sein müssen, erforderlich gewesen, zumal auch bisherige Urgenzen am xx, xx und xx offenbar ohne Reaktion blieben. Diesbezüglich hätte das BVwG – etwa nach Erhebung von Erfahrungswerten mit der Ausstellung von Heimreisezertifikaten durch die xx Botschaft – begründen müssen, weshalb es weiterhin davon ausging, es werde ein Heimreisezertifikat für den Revisionswerber ausgestellt werden. (…)
13. Da das BVwG dessen ungeachtet – ohne in irgendeiner Form auf das Vorbringen des Revisionswerbers in der Stellungnahme vom xx und den dort gestellten Beweisantrag einzugehen – Ermittlungen zur Frage der Realisierbarkeit der Abschiebung des Revisionswerbers unterlassen und die dem angefochtenen Erkenntnis zu Grunde gelegte Annahme der grundsätzlichen Möglichkeit einer solchen nicht nachvollziehbar begründet hat, war das angefochtene Erkenntnis schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.“ (VwGH 22.02.2024, Ra 2022/21/0123, Rz 11ff.)