Mit der wichtigen und richtigen Entscheidung des EuGH steht fest, dass Frauen aus Afghanistan aufgrund der sie dort völlig entrechtenden Maßnahmen allein aufgrund ihres Geschlechts Anspruch auf bestmöglichen Schutz haben. Wenn man sich den Menschenrechten verpflichtet fühlt oder zumindest bereit ist, Entscheidungen des europäischen Höchstgerichts zu respektieren, wird man nun auch in Österreich Frauen aus Afghanistan ihren Anspruch auf Asyl nicht verwehren.
Der österreichische Innenminister hingegen will weiterhin Einzelfallprüfungen vornehmen, „um Missbrauch zu verhindern“, Walter Obwexer fallen hinsichtlich dieses Urteils zunächst „die Schlepper“ ein, die „nur noch schauen müssen, dass sie Frauen aus Afghanistan in einen EU-Staat bringen“, und äußert sich offenbar bedauernd über das – auch Asylberechtigten zustehende – Recht auf Familienleben und Irmgard Griss wirft neben ihrer irritierenden Sorge über den möglichen Familiennachzug gar „die (sic!) Einstellung aus der Bevölkerung“ in die Diskussion, aufgrund derer eine „gewisse Korrektur der Judikatur notwendig“ (sic!) wäre (vgl. u.a. derStandard.at vom 07.10.2024 und 08.10.2024, ZIB 1 vom 08.10.2024).
Nun hat ohnehin niemand erwartet, dass sich der Innenminister über das Urteil des EuGH besonders freuen würde (wenn es auch schön gewesen wäre, internationalen Schutz einmal nicht mit „Missbrauch“ assoziiert zu bekommen). Auch die Reaktionen der (nicht nur) in Asyl- und Migrationsfragen unqualifiziertesten Partei Österreichs waren nicht anders zu erwarten. Den zitierten Ansichten von Walter Obwexer und Irmgard Griss ist allerdings schon zu entgegnen: Wenn eine Person in Österreich internationalen Schutz erhält, hat sie das Recht, ihre Kernfamilie nachzuholen. Auch Schutzberechtigte haben ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Achtung ihres Familienlebens. Frauen hatten daher schon bisher die Möglichkeit, nach der Zuerkennung von Schutz – der betreffend Afghanistan in der einen oder anderen Form ohnehin wahrscheinlich war – ihren Ehemann und ihre Kinder nach Österreich zu holen. Was daran stört Sie, Herr Obwexer und Frau Griss? Die Annahme, dass Frauen, die in Afghanistan ohne Begleitung nicht einmal außer Haus gehen dürfen, nun plötzlich selbständig nach Europa in die Freiheit geschickt werden würden, ist aus mehreren Gründen schlicht realitätsfremd. Und dass über den Ausgang eines Gerichtsverfahrens gerade nicht „die“ (welche eigentlich?) Einstellung der Bevölkerung zu entscheiden hat, muss gerade Frau Griss bekannt sein.
Die diesem begrüßenswerten Urteil des EuGH nun folgende Diskussion ist mE völlig daneben. Sie erweckt – beabsichtigt oder nicht – den Eindruck eines erschütternden Versuchs der Delegitimierung des Rechts auf internationalen Schutz und der Frauenrechte. In diesem Urteil geht es darum, dass Frauen vor der völligen Entrechtung angemessen geschützt werden sollen. Darüber hätte gesprochen werden müssen. Es hätte (einmal!) nicht um „die“ Befindlichkeiten von im sicheren Europa bequem eingerichteten Menschen gehen sollen, die den afghanischen Frauen offenbar sogar ihren Schutz neiden.
Übrigens: Wer von den sich so besorgt Äußernden hat mit einer der betroffenen Frauen gesprochen? Ich z.B. mache das jeden Tag. Weshalb kommt keine betroffene Frau zu Wort? Weil es um die Frauen ganz offensichtlich nicht geht.